Ohne Männer am Ende der Welt: „Vardø“ von Kiran Millwood Hargrave #Rezension

Weit sind Himmel und Meer am Ufer der norwegischen Insel Vardø. Die Fischerei bietet ein karges Leben für die Bewohner*innen des kleinen Dorfes an den Felsen. Im Winter 1617 müssen die Frauen zusehen, wie nahezu alle ihre Männer in einem Sturm vor der Küste umkommen. Fortan arrangieren sie sich allein und finden ein Auskommen, auch ohne männliche Unterstützung. Auf der Buchrückseite heißt es.

Nur die Frauen bleiben zurück, und ein Überlebenskampf in einer archaischen Welt beginnt.

Dieser Satz hat mich sofort gekriegt. Ich dachte an „Der Herr der Fliegen“ nur eben mit Frauen in der Frühen Neuzeit statt mit Kindern in den Fünfzigern. Und an die Netflix-Miniserie „Godless“ (2017), in der alle Männer eines Goldgräberstädtchens im amerikanischen Mittleren Westen bei einem Minenunglück ums Leben kommen. Genau eine Geschichte für mich. Hinzu kommt noch, dass ich nach intensivem Lesevergnügen mit Knut Hamsun und Karl-Ove Knausgård mehr Norwegen in meinem Bücherregal haben wollte (wenn es auch nur um den Ort des Geschehens geht).

Erzählt wird aus der Perspektive von Maren. Sie steht eigentlich kurz vor der Hochzeit und durch das Bootsunglück kommt alles ganz anders. Leider kommt die unendliche Tiefe des Verlusts der Frauen nicht recht zur Geltung, vielleicht weil es für Maren eben nicht nur ein Verlust ist, sondern auch ihre Chance auf Unabhängigkeit. Man kann ihr gut beim Unabhängigwerden folgen. Die Frauengemeinschaft spaltet sich nach einiger Zeit in diejenigen, die ihr Leben in die Hand nehmen, Fische fangen, Tiere versorgen, eben Männerarbeit selbstverständlich übernehmen und diejenigen, die die Ankunft „neuer“ Männer im Dorf herbeisehnt und die Selbstständigkeit von Maren und einigen anderen argwöhnisch beobachten. Es kommt wie es kommen muss: neue Männer kommen in Gestalt von Inquisitoren und machen den Frauen die Hölle heiß. Schließlich schreiben wir das 17. Jahrhundert und wo kämen wir denn hin, wenn Frauen sich selbst verwirklichten oder wenigstens ein bisschen glücklich wären.

Obwohl der Roman viel guten Stoff mitbringt, ist die Leseerfahrung nicht berauschend. Die Geschichte bleibt glatt und flach, konventionell. DAS neue große Literaturtalent, als das die Buchrückseite die Autorin etikettiert, habe ich in Kiran Millwood Hargrave jedenfalls nicht gesehen. Eher eine Stimme unter vielen.

Hinterlasse einen Kommentar